395 Tage digitale Werbeagentur – Erfahrungen einer eigenen Welt

Es waren aufregende Momente, als ich im Juni 2018 die Zusage zum Job in einer Werbeagentur bekommen habe. Jahr für Jahr war die Vision vor meinem inneren Auge, ein Team zu leiten und gemeinsam großartige Produkte an zufriedene Kunden zu liefern. Welche Punkte mir dabei aufgefallen sind, möchte ich gern teilen, da sie dir bei der Jobsuche sicherlich helfen werden.

Tl;dr;

Meiner Erfahrung nach, solltest du dir sehr gut überlegen Teil dieser Branche zu werden. Sie ist kurzlebig, oberflächig und im Vergleich schlecht bezahlt. Sobald man das Alter erreicht hat, wo man weiß, was man will, ist die Gefahr groß, wie eine Fahne im Wind zu wehen, denn greifbare Ziele gibt es nicht.

Wem ein gutes Gehalt und langlebige Projekte wichtig sind, wird hier nicht glücklich werden. Jedoch kann die eigene Vita davon profitieren, ebenso wie das eigene Skillset. Großes Thema: Selbstdarstellung erwünscht.

Übrigens: wie ein gutes Gehalt aussieht, erfährst du übrigens hier.

Die Agenturwelt ist ein Haifischbecken

Neben den internen Problemen eines Unternehmens, entsteht enormer Druck durch brutalen Wettbewerb, Pitches, Preisdumping. Es gibt einen riesigen Pool an guten Agenturen in Wien, die alle um den einen Kunden kämpfen. Die Versprechen gegenüber dem Kunden werden groß angelegt, die Preise niedrig gehalten um den Zuschlag zu bekommen. Es geht oft um minimale Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Der Druck Geld zu verdienen ist wirklich hoch. Ein Spiel, das zu Lasten Aller fällt. Es gab Momente, in denen die Schere zwischen versprochenem Endprodukt und Budget so weit auseinander gingen, dass unmöglich kostendeckend gearbeitet werden kann. #Sinnhaftigkeit

Selbst wenn eine Agentur permanente Auslastung hätte, würde sie jeden Cent umdrehen müssen, damit die Bilanz positiv ausschaut. Jedoch kommt es immer wieder zu Schwankungen. Die logische Schlussfolgerung: Weniger Aufträge > weniger Budget > weniger Auslastung > weniger benötigte Mitarbeiter.

Die logische Konsequenz daraus ist, Kosten zu sparen. Wie das im Detail ausschaut, kann man sich selbst zusammenreimen.

Visionen, gemeinsame Ziele – gibt es die eigentlich?

Der Alltag einer Agentur schaut so aus, dass man zwischen Angebotslegung, Hotfixes, Minitasks, Aufwands-Schätzungen und Technologieupdates aktuelle Websites, Banner und individuelle Software programmiert. Selbstverwirklichung gibt es nur dann, wenn die genannte Auftragsflaute gibt. Wann eine Flaute entsteht kann man jedoch nicht vorhersehen.

Aus den täglichen Todos resultiert ein sehr großer Teil der Fremdbestimmung. Man schafft Dinge, die Kunden wünschen. Soll heißen: Man ist Dienstleister. Dementsprechend kann man sich in bestimmten Bereichen einbringen. Aber jeder Kunde ist unterschiedlich. Und so auch sein Verlangen nach Feedback. Sofern ein Kunde seine Meinung hat, kann es passieren, dass wenig Spielraum für Änderungen ist. Dadurch kann der Freiraum für eigene Ideen abhandenkommen.

Wenn das passiert, muss die Geschäftsleitung ein Leitbild, eine Vision vorgeben. Ohne Ziel > keine Motivation > kein Plan > keine glücklichen Mitarbeiter.

Wie analog ist das digitale Mindset?

In einer digitalen Agentur sollen meiner Meinung nach Workflows digital abgebildet werden. Urlaube kann man ohne große Aufwände so darstellen, dass alle Mitarbeiter darauf Einsicht haben und sich organisieren können.

Checke unbedingt vorher, welche Werkzeuge das Unternehmen nutzt. Fordere Informationen unbedingt ein! Beste Beispiele sind

  • Projektmanagement: Jira (kostenpflichtig), Trello (kostenlos), Asana,…
  • Ressourcenmanagement: Jira, Blatt Papier, Sprint Planning, Outlook Kalender, gar keine Planung)
  • Homeoffice: wird es geduldet oder wird Mitarbeitern nicht vertraut?
  • Agile Softwareentwicklung: Analoges Kanban-Board, Sprint Plannings, daily Stand Up Meeting
  • Screendesigns: Figma, Zeplin.io, Sketch,…
  • IDE: Jetbrains Phpstorm, Visual Code
  • Code Versioning: Gitlab, Github, Bitbucket, SVN

Es wird immer wieder ein Thema sein, ob die Firma in Lizenzen investiert oder Workarounds sucht, diese zu umgehen. Ebenso soll es ein modernes Arbeitsumfeld sein mit agilen Werkzeugen (daily standsups, Sprint Planning etc.). Im Jahre 2020 sollte jeder Entwickler zumindest schon erste Erfahrungen mit diesen Themen gemacht haben. Falls nicht, kannst du davon ausgehen, dass der digitale Horizont stark eingeschränkt und rückschrittlich ist.

Ist top-down-Kommunikation genug Feedback für dich?

Es plagen dich die Fragen: “Wo stehe ich?”, “Habe ich die gewünschte Arbeitsleistung an den Tag gelegt?” Um es vorweg zu nehmen: eine Rückmeldung auf diese Fragen habe ich nie bekommen. Es sollte regelmäßige Gespräche geben, die es ermöglichen jedem einzelnen das Wort zu ermöglichen.

Eine Einweg-Kommunikation ist der absolut falsche Weg. Zuhören gehört zu den best practises. Ohne Empathie und Gespür für das Team, stellen sich Frustration und Resignation bald ein.

Du wirst dich mit Selbstdarstellung auseinandersetzen müssen

Sehr auffällig sind die Charaktere der Mitarbeiter, die auf “Glanz” aus sind. Wenn es hart auf hart kommt, geht es um den eigenen Job, um das Glänzen in einem Team und um Lob – Anerkennung. Man wird in einer Welt voller “bling bling” logischerweise besser wahrgenommen, wenn man die Cremé de la cremé darstellt. Das ist der natürliche Nebeneffekt der Branche. Denn man muss seine Dienstleistungen glamourös präsentieren, um Aufträge zu erhalten und Begeisterung zu schaffen.

Intern schaut es dann gern mal so aus, dass Mitarbeiter, die auch mal länger Pause machen oder anderweitig negativ auffallen, sich in der passenden Situation immer noch großartig in Szene setzen können. Unglaublich, wie gut das funktioniert!

Mit diesen Punkten kannst du dich gedanklich etwas darauf einrichten, was dich bei einem Job in einer Werbeagentur erwarten kann. Natürlich ist jede Agentur individuell und sollte auf keinen Fall verallgemeinert werden. In jungen Jahren kann es spannend sein dort zu arbeiten. Man lernt das Knowhow erfahrener Mitarbeiter, findet vielleicht Freundschaften. Die Bezahlung ist voraussichtlich eher schlank gehalten.

Viel Erfolg auf der Jobsuche!